Sturge-Weber-Syndrom Q85.8

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 16.05.2024

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Synonym(e)

Angiomatosis encephalo-cutanea; Angiomatosis encephalo-oculo-cutanea; Angiomatosis encephalotrigeminalis; Angiomatosis enzephalotrigeminale; Angiomatosis oculo-cutanea; Angiom kutaneo-zerebrales; Brushfield-Wyatt-Syndrom; ektoneurodermales Hamartom (Wohlwill); Encephalo-cutane Angiomatose; Encephalo-oculo-cutane Angiomatose; enzephalotrigeminale Angiomatosis; fourth phacomatosis; Hamartom ektoneurodermales; Hirn-Trigeminus-Angiomatose-Syndrom; Kalischer-Syndrom; Krabbe-Syndrom; Krabbe-Syndrom III; kraniofaziale Angiomatose mit zerebraler Verkalkung; kutaneo-zerebrales Angiom; Neuroangiomatosis encephalofacialis; Sturge-Krankheit; Sturge-Weber-Dimitri-Syndrom; Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom; Weber-Dimitri-Syndrom

Erstbeschreiber

Luschka, 1854; Sturge, 1879; Weber, 1922; Krabbe, 1934

Definition

Das Sturge-Weber-Syndrom, auch bekannt als "Enzephalofaziale Angiomatose", ist eine kongenitale, neurokutane Störung (s.a. Neurokutane Syndrome), die als sporadische angeborene Erkrankung auftritt; sie ist durch einen Naevus flammeus gekennzeichnet, der die Haut in der Verteilung des ophthalmischen Astes des Nervus trigeminus betrifft und mit venös-kapillären Anomalien der Leptomeningen und des Auges einhergeht.

Folgende Trias kennzeichnet das Syndrom:

  • meist einseitge kapilläre Malformation (Naevus flammeus) im Bereich des N. ophthalmicus (Nervus V1) (Bemerkung: dieses Verteilungsmuster wird von versch. Autoren angezweifelt)   
  • vaskuläre Malformation der Uvea (Glaukomentwicklung mit Gefahr der Blindheit)
  • verkalkende Hämangiome der Leptomeninx mit pathologischen Veränderungen der darunterliegenden Hirnrinde (neurologische Symptomatik - Krampfleiden).

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: ca. 1-2/100.000 Einwohner.

Ein Kind, das mit einem Feuermal im Gesicht geboren wird, hat eine Wahrscheinlichkeit von etwa 6 %, das Sturge-Weber-Syndrom zu haben (Piram M et al. 2012). Dieses Risiko steigt auf 26 %, wenn sich das Feuermal in der Verteilung des ophthalmischen Astes des N. trigeminus befindet (Ch’ng S et al. 2008). Portweinflecken entwicklen meist eine unterschiedlich stark ausgeprägte  "Weichteil- und Knochengewebsüberwucherung" (Greene AK et al. 2009).

Die somatisch-aktivierenden Mutationen in GNAQ, die p.Gln209Leu und p.Arg183Gln kodieren, werden auch bei Patienten mit Aderhautmelanom gefunden (Shirley MD et al. 2013). Für das häufigere p.Gln209Leu wurde gezeigt, dass es den Mitogen-aktivierten Proteinkinase (MAPK)-Signalweg überaktiviert (Van Raamsdonk CD et al. 2009). Die Mutationen führen jedoch zu unterschiedlichen Aktivitäten auf nachgeschaltete Signalwege.

Ätiopathogenese

Das Sturge-Weber-Syndrom, sowie auch nicht-syndromale Portweinflecken, werden durch eine somatische aktivierende Mutation im GNAQ-Gen verursacht. Beim Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom können bei nahezu 90% der Erkrankten eine nicht-synonyme Einzelnukleotid-Variante -c.548G→A, p.Arg183Gln- (nicht-synonyme Einzelnukleotid-Polymorphismen sind SNPs, die zu einem Aminosäurewechsel an dem betreffenden Codon führen) in GNAQ in Proben von betroffenem Gewebe (auch in läsionalen Gehirnproben) nachgewiesen werden (Shirley MD et al. 2013). Auch bei nicht-syndromalen Portweinflecken können diese Einzelnukleotid-Polymorphismen im GNAQ-Gen nachgewiesen werden.

Pathophysiologie

Bei dem Sturge-Weber-Syndrom werden folgende Hypothesen diskutiert: Eine angeborene Schwäche der Gefäßwände, Defekte in perivaskulären dermalen Elementen, Anomalien in der Neuromodulation und eine Dysmorphogenese des kephalen Neuroektoderms. Die beiden Haupthypothesen, für die neuere Studien sprechen, sind defekte Nerveninnervationen zu den dermalen Blutgefäßen und genetische Mutationen, die zu einer Dysregulation der angiogenen Signalübertragung führen (Nguyen V et al. 2019). Den Gefäßen bei PWS fehlt es an normalen Nerveninnervationen, was sich an der signifikanten Abnahme der S-100-positiven Nervenfasern zeigt, die nur die Gefäße in der Dermis betreffen (Nguyen V et al. 2019). Infolgedessen kommt es zu einer Abnahme des Basalttonus der Gefäße und/oder zu einem Verlust neurotropher Faktoren, was zu den pathologischen Veränderungen des PWS führen könnte. Es wurde diskutiert, dass es eine fehlerhafte Reifung der sympathischen Fasern in den dermalen Gefäßen gibt, die embryologisch stattfindet, was zu einem Verlust der sympathischen Kontrolle führt, was wiederum eine vaskuläre Ektasie zur Folge hat.

Dermale Blutgefäße bei PWS ko-exprimieren sowohl arterielle Marker (EfnB2) als auch venöse Marker (EphB1), was zu Fehlentwicklungen bei der normalen Differenzierung des primären Kapillarplexus in dermale Arteriolen und Venolen führt. Das Ergebnis ist ein venenähnliches Gefäßsystem, das eine fortschreitende Dilatation erfährt. Eine abnorme Aktivierung der mitogen-aktivierten Proteinkinasen (MAPK) und der Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K), die eine Schlüsselrolle bei der Angiogenese spielen, wurde ebenfalls in Betracht gezogen(Nguyen V et al. 2019). Mutationen in RASA1, GNAQ, EphB4 und die Koexpression von EphB1 und EfnB2 sind einige der auslösenden Faktoren für diese abnorme Aktivierung.

Die Ursachen für abnorme und erweiterte Blutgefäße bei Naevus flammeus (PWS) lassen sich wie folgt zusammenfassen (Liu L et al. 2022):

  • Somatische GNAQ (R183Q)-Mutationen, die Angiopoietin-2 induzieren, führen zur Bildung vergrößerter kapillarartiger Gefäße
  • Verminderte Anzahl perivaskulärer Nervenelemente
  • Koexistenz von Eph-Rezeptor B1 und Ephrin B2
  • Fehlende Expression von alpha-glattem Muskelaktin
  • Mutationen in den Genen PIK3CA, SMARCA4, EPHA3, MYB und PDGFR-B führen zu unterschiedlichen Effekten (s.u. den einzelnen Genen). Ihre pathogenetischen Wertigkeiten sind bisher noch nicht klar definiert (Lian CG et al. 2014). Möglicherweise  könnten sie wichtige therapeutische Ziele darstellen.

Klinisches Bild

Kapilläre Malformation (Naevus flammeus, auch als Portwein-Flecken bezeichnet) einer Gesichtshälfte, häufig nur im Ausbreitungsgebiet des 1. Trigeminusastes (s.unten). Seltener sind die gesamte Kopfhälfte sowie die Mundschleimhaut (mit Gingivahyperplasie) betroffen.

Auge: Am Auge kann das Aderhautangiom zu Komplikationen wie Glaukom, Buphthalmos und Netzhautablösung führen. Mögliche Entwicklung eines Glaukoms meist im frühen Kindesalter.

Kinder mit SWS entwickeln häufig bis zum Alter von 2 Jahren Krampfanfälle, die mit kontralateralen neurologischen Defiziten und Lernschwierigkeiten einhergehen können. Weiterhin möglich:  Spastische Hemiparese, fokale epileptische Anfälle, Migräne.

Volle Ausprägung des Syndroms ist nur in etwa 50% der Fälle vorhanden. Bei fehlender Augenbeteiligung spricht man auch von einer Angiomatosis encephalo-cutanea, bei fehlender ZNS-Beteiligung von einer Angiomatosis oculo-cutanea. 

Diagnostik

Neurologische und ophthalmologische Untersuchung (insbesondere Messung des Augeninnendrucks), Röntgenbild des Schädels (charakteristische, doppelt konturierte, geschlängelte Verkalkungen), Computertomogramm und evtl. Kernspintomogramm des Schädels.

Bildgebung

Die Bildgebung des Gehirns kann eine zerebrale Atrophie mit gyriformen Verkalkungen zeigen, die als ""tram-track sign" (Straßenbahnschienen-Zeichen)" beschrieben werden.

Diagnose

Kinder mit Surge-Weber-Syndrom entwickeln häufig bis zum Alter von 2 Jahren Krampfanfälle, die mit kontralateralen neurologischen Defiziten und Lernschwierigkeiten einhergehen können. Am Auge kann das Aderhautangiom zu Komplikationen wie Glaukom, Buphthalmos und Netzhautablösung führen. Ein Naevus flammeus im Gesicht, der jeden Bereich der Stirn, einschließlich des oberen Augenlids und der Mittellinie des frontonasalen Vorsprungs umfasst, ist der wichtigste Indikator für ein Sturge-Weber-Syndrom. Es ist bemerkenswert, dass nicht alle Patienten mit Naevus flammeus ein Sturge-Weber-Syndrom entwickeln; die Manifestation auf der Stirn ist der stärkste unabhängige Prädiktor (Sánchez-Espino LF et al. 2023).

Therapie

Behandlung der Hautveränderungen mit dem Laser (Argon-, gepulster Farbstoff-Laser).

Die klinische Effizienz von Latanoprost auf das Glaukom, das mit der vaskulären Malformation assoziiert ist, ist als unbefriedigend zu bezeichnen (Altuna JC et al.1999).

Verlauf/Prognose

Im Alter Bildung von Gefäßknötchen im Bereich des Naevus flammeus (PWS=Portwine stains).

Hochrisikofaktoren für assoziierte Anomalien des zentralen Nervensystems bei Patienten mit Naevus flammeus (Sánchez-Espino LF et al. 2023)

  • Ausgedehnte bilaterale Beteiligung
  • Hemifaziale Beteiligung der Stirn
  • Medianes PWS
  • >50% zusammenhängende hemifaziale Stirnbeteiligung

Hinweis(e)

Die lange Zeit vorherrschende Meinung, dass die Verteilung der vaskulären Malformationen auf den Trigeminusnerv zurückzuführen ist, wird durch die Beobachtung in Frage gestellt, dass das Verteilungsmuster dem Verlauf embryologischer Gefäße zu folgen scheint.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Altuna JC et al. (1999) Latanoprost in glaucoma associated with Sturge-Weber syndrome: benefits and side-effects. J Glaucoma 8:199-203.
  2. Carrasco L et al. (2003) Acral arteriovenous tumor developed within a nevus flammeus in a patient with Sturge-Weber syndrome. Am J Dermatopathol 25: 341-345
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